Vom Krippenspiel zum Puppenspiel
Mit der Augsburger Puppenkiste bin ich aufgewachsen: Jim Knopf und die Wilde Dreizehn, Urmel aus dem Eis, Der Löwe ist los, Kalle Wirsch … Ich erinnere mich noch heute an jeden der Filme. Keine computeranimierten Detonationen, keine schnellen Bildwechsel. Ich hatte Zeit, den Bildern und der Handlung zu folgen. Und nun kommt die Augsburger Puppenkiste mit der Weihnachtsgeschichte. Kommt denen nichts mehr in den Sinn? Muss man die Kassen füllen? Ich schaue mir den Film mit einer gewissen Skepsis an und bin überrascht: Da springt die Puppenkiste nicht einfach nur auf eine gut verkäufliche Geschichte auf, da wird etwas Eigenes, etwas sehr Spezielles geboten.
Die Weihnachtsgeschichte der Puppenkiste wird auf die für das Marionettentheater typische Art erzählt: ruhig, unspektakulär aber mit unübersehbarem Augenzwinkern. Wer die bekannte biblische Geschichte mit der Version der Puppenkiste vergleicht, stolpert immer wieder. Nicht nur über den Engel, der augenscheinlich ein Problem mit der Landung hat. Es sind die bisweilen kleinen Verschiebungen gegenüber der bekannten biblischen Überlieferung, die mich stolpern lassen. Balthasar spricht mit jiddischem Akzent, Melchior tönt irgendwie österreichisch, Caspar undefinierbar «ausländisch». Die drei haben sich das Ziel gesetzt, ihre Weisheit zusammenzuführen. Da ist die Begegnung von Maria, Josef und dem Esel mit der römischen Besatzungsmacht: Nur weil Josef reklamiert, schlagen die Soldaten kurzerhand die schöne neue Küche in Stücke, ohne dass die Zuschauer Augenzeugen dieses brutalen Vorgehens werden müssen. Als Maria und Josef in einen Sandsturm geraten, helfen ihnen die Wüstenbewohner, denen im Film normalerweise doch eher das Bild von Räubern anhaftet. Als die Hirten die müden Reisenden sehen, sind sie sich darüber im Klaren, dass die Suchenden keine Herberge finden werden. Wie nebenbei fällt die Bemerkung des Hirten Matthäus: «Die Stadt ist so. Die ganze Welt ist so. Den Römern ist’s egal, den meisten Leuten auch». Worauf Lukas energisch protestiert: «Mir nicht!» Ein Stolperstein, der auf die Situation zahlloser heutiger Flüchtlinge verweist.
Die Frage nach dem Mehrwert
Wo liegt der «Mehrwert» eines solchen Films? Warum sollte ich den Film zeigen, statt in kindgerechter Art die Weihnachtsgeschichte zu erzählen? Der Mehrwert liegt im «Mehr» des Filmes – in dem, was über die biblische Erzählung hinausgeht. Den Zuschauern des Filmes wird immer wieder bewusstgemacht, dass es sich um eine Geschichte handelt, eine Überlieferung, um ein Theater. Die Weihnachtsgeschichte ist kein historischer Tatsachenbericht, sondern eine tradierte Erzählung, die mit den Augen des Glaubens gesehen werden muss. Es ist kein Zufall, dass die Augsburger Puppenkiste den Hirten die Namen Lukas und Matthäus andichtet – Menschen, die in der Bibel als Berichterstatter auftreten. Die drei Weisen wollen ihr Wissen zusammenführen und aufschreiben, dokumentieren. Sie alle also erzählen von ihren Erfahrungen mit dem Kommen Gottes in die Welt.
Die Weihnachtsgeschichte der Augsburger Puppenkiste bietet eine neue, ungewohnte Sicht auf die biblische Geschichte. Dabei verzichtet sie dankenswerterweise auf den üblichen Engelskitsch mit Choruntermalung. Sie holt Weihnachten auf die Erde zurück. Mir scheint, das haben wir in Zeiten der LED-Leuchtketten mit Weihnachtsmännern und Elchen dringend nötig!
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