Wer hat recht?

Jeder, der irgendwie mit Literatur und Texten zu tun hat, weiss, dass es genauso viele Interpretationen wie Leser gibt. Das gilt im Prinzip auch für die Bibel.

Und doch hat man über die Jahrhunderte hinweg immer wieder versucht, die eine wahre Bedeutung einzelner Bibeltexte festzulegen. Die Interpretation/Hermeneutik ist im wahrsten Wortsinn eine Wissenschaft für sich. Das gilt bereits für die Kirchenväter, für die biblische Exegese unabdingbar verknüpft war mit der kirchlichen Dogmatik. Dagegen postulierte Luther, dass jeder die Schrift aus sich verstehen würde und die Schrift sich im Idealfall aus sich selbst erklären würde. Dann stellte man fest, dass es doch gewisser methodischer Werkzeuge bedarf. Es gilt, Intention, Zeit und Umwelt, Sprache und Adressaten richtig einordnen zu können.

Genau um dieses hermeneutische Problem geht es den Autoren hier. Sie gehen davon aus, dass man ruhig verschiedenen Meinungen und Interpretationen nebeneinander stehen lassen kann. Mehr noch: Wenn man achtsam miteinander und mit den Texten umgeht, eröffnet sich die Möglichkeit zu einer tieferen Erkenntnis, die verbindend wirkt.

Gutsche und Siegert geht es aber nicht um eine Pluralität um jeden Preis: Achtsam mit biblischen Texten umzugehen, bedeutet für sie eben auch, die Hintergründe und Adressaten zu kennen. Und diese liefern sie kurz und prägnant gleich mit. So geben sie einen kurzen Einblick in Hebräisches Denken und die literarische Form biblischer Texte. Sie stellen Adressaten und Ziele der vier Evangelien vor. Im Anschluss picken sie scheinbar widersprüchliche Texte einzelner Evangelien (Stammbaum Jesu, Kreuzesgeschehen, Osterberichte) heraus und erklären die Zusammenhänge. Schliesslich geht es in einem Praxisteil um konkret erfahrene Interpretationsmöglichkeiten.

Ein grosser „Rundumschlag“ für so ein schmales Bändchen. Genau hier liegt die Crux: Die einzelnen Themen werden wirklich absolut knackig auf den Punkt gebracht. Man kann sich also sehr viel Wissen innerhalb kürzester Zeit aneignen – oder auffrischen. Und doch würde man sich oftmals etwas mehr Tiefe wünschen. Aber für Denkanstösse ist das Buch allemal geeignet. Und die Autoren erreichen, was sie intendieren: „aufzeigen, wie sehr das Ernstnehmen und Aufnehmen der Adressatenfreundlichkeit Gottes die jeweils eigene Sichtweise relativieren, ergänzen, aber auch erweitern“ und die Freude am (gemeinsamen) Bibellesen wecken kann.

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