«Pflaumensommersüss» – zwei erfrischende Neuerscheinungen für eine sprachsensible (Religions-)Pädagogik
Es ist faszinierend: Wenn Bücher nebeneinander auf dem Tisch liegen, kann es geschehen, dass sie miteinander ins Gespräch kommen. Dies ist der Fall bei den beiden Neuerscheinungen «Der Wortschatz», einem wundervollen Bilderbuch zum poetischen Reichtum der Sprache, und dem anregenden Studien- und Arbeitsbuch zur «Sprache im Fachunterricht Religion» von Andrea Schulte. So unterschiedlich die beiden Publikationen auf den ersten Blick auch erscheinen, sie teilen doch dasselbe Anliegen: Wir tragen eine Verantwortung dafür, dass (religiöse) Sprache nicht leichtfertig verharmlosend oder als Machtmittel gebraucht wird, sondern einen kreativen Raum eröffnet für persönliches Begegnungslernen.
Das Bilderbuch erzählt: Oscar entdeckt eine alte Truhe, die mit Wörtern gefüllt ist. Etwas ratlos nimmt er das oberste Wort heraus und stellt erstaunt fest, dass sich damit auch seine Umgebung verwandelt.
Das Studienbuch holt weit aus: Im Religionsunterricht lernen Kinder und Jugendliche nicht nur, kundig und begründet über Religion(en) zu sprechen. Sie werden auch als Personen wahrgenommen, die ihr Erleben, Träumen und Suchen sprachlich zum Ausdruck bringen – und manchmal auch um Worte ringen. Begrifflich-begründende Sprache und poetisch-entdeckende Sprache gehören zur mehrsprachigen Situation im Religionsunterricht, die auch dadurch gegeben ist, dass Lerngruppen sprachlich und religiös zunehmend heterogener werden. Diese mehrdimensionale Vielsprachigkeit ist herausfordernd, schafft aber auch Chancen für einen sprachsensiblen und -bewussten Religionsunterricht.
Oscar erhält immer mehr Macht über die Dinge, die mit den Wörtern aus der Truhe in Berührung kommen. Wahllos wirft er mit Adjektiven um sich. Als aber das letzte Wort verbraucht ist, wird die Welt um ihn herum merkwürdig leer. Niemand, dem er begegnet, hat Zeit, ihm wieder neue Wörter zu schenken.
Andrea Schulte hat ihr Buch für Religionslehrkräfte geschrieben, die ihr Sprachhandeln im Unterricht reflektieren und sorgfältiger mit den verschiedenen kommunikativen Registern umgehen wollen. Konkret könnte das zum Beispiel heissen, Kinder mehr selbst erzählen zu lassen und sich mit Jugendlichen auf einen Weg zu begeben, auf dem gegenseitige Verständigung erst noch zu gewinnen ist: als dynamischer Prozess mit echten Fragen, aktivem Zuhören und ermutigenden Feedbacks.
Zum Glück trifft Oscar Louise, die in ihrem Garten gerade Blumen giesst. Sie schenkt ihm aus ihrem Vorrat nicht nur haufenweise Wörter, sondern zeigt ihm auch, wie er selbst neue erfinden kann. Oscar lernt, wie er mit ihnen umgehen muss, damit sich die alte Wortschatz-Truhe immer wieder neu füllt und Freude verbreitet.
Pädagogisch verantwortungsvoll sprechen heisst für Andrea Schulte zweierlei: Lehrpersonen fördern eine einfache, individuelle und sinnlich erfahrbare Sprache. Und: sie lassen zu, dass sich die Wirkkraft alter, auch komplexerer Texte entfaltet, die mit existenziellen Erfahrungen von früher und heute angereichert sind. Beide Zugänge ergänzen sich.
Louise und Oscar ruhen sich im Gras aus und schauen in den Himmel. «Einmal ausgesprochen», sagt Louise, «haben Wörter eine magische Kraft. Gehe achtsam mit ihnen um. Du lässt mit ihnen die Welt erblühen. Und zwischendurch wirst du von jemandem ein Wort geschenkt bekommen.» Auf dem Bild daneben steht «pflaumensommersüss».
Warum nicht selbst in den Sommerferientagen mit allen Sinnen neue Wörter entdecken, um sprachsensibel und mit schöpferischen Wortschatz-Ideen ins neue Schuljahr zu starten?
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