KI im Unterricht?

Zugegeben, bisher habe ich die Entwicklung von KI-Sprachmodellen wie ChatGPT eher mit Fragezeichen verfolgt – abwartend, aber als Sprach- und Buchliebhaberin durchaus besorgt. Und nun blättere ich doch neugierig in Neuerscheinungen zum Thema, die Auskünfte und Anregungen zum Einsatz von KI-Tools im Unterricht geben. Eines der Bücher stammt aus der Feder von Inez De Florio-Hansen, Erziehungswissenschaftlerin und Professorin für Fremdsprachenforschung und interkulturelle Kommunikation.

Für sie steht ausser Frage, dass ChatGPT und Übersetzungstools an Schulen schon längst Realität sind. Aufhalten lasse sich die Technik nicht, zumal sich Schülerinnen und Schüler ja auch auf künftige Berufsfelder vorbereiten müssen. Umso mehr hätten Lehrende und Lernende aber auch die Verantwortung, kritisch zu bleiben und genau unter die Lupe zu nehmen, was mit künstlicher Intelligenz möglich ist und was nicht.

Abgesehen von der Gefahr, dass Nutzerinnen und Nutzer soziale und emotionale Fähigkeiten in die Maschine hineinlesen, die diese gar nicht hat, sieht die Autorin das gravierendste Problem bei der Sprache selbst. KI-Texte schaffen es, mit vielen Worten wenig zu sagen. Der Wortschwall vernachlässigt inhaltliche Aspekte, enthält unnötige Wiederholungen, aber keine zuverlässigen Quellen. Von der Vielschichtigkeit menschlichen Ausdrucks, einschliesslich Ironie und Symbolsprache, verstehen künstliche Modelle meistens Bahnhof. Zudem steht die vielgepriesene Zeitersparnis auch für die Expertin in keinem Verhältnis zum Aufwand, den man betreiben muss, um das System zu trainieren und die künstlich hergestellten Schreibprodukte zu überarbeiten.

Und doch zeigt die Autorin, dass KI-Tools methodisch-didaktisch brauchbar sind. Natürlich wäre es wenig ergiebig, Kindern und Jugendlichen Aufgaben zu stellen, die ihnen das KI-Sprachmodell ganz oder zu einem grossen Teil abnimmt. Denn was motiviert sie noch, an eigenen Texten herumzufeilen, wenn ein virtueller Ghostwriter alles in Sekundenschnelle erledigt hat – und erst noch fehlerfrei? Würden jedoch individuelle Bezüge, z.B. Hobbys, der Wohnort, persönliche Reflexionen und Vergleiche in den Auftrag mit einbezogen, sei sofort ein eigener Beitrag gefragt, der den Dialog mit der Suchmaschine zumindest ergänzt. Auch für Lehrpersonen könne ChatGPT spannend sein. Nicht um Informationen zu sammeln und noch weniger, um das Beurteilen und Feedback-Geben zu delegieren. Wer aber Anregungen suche, für eine bestimmte Jahrgangsstufe, für einen bestimmten Themenbereich, könne sich durchaus von ChatGPT inspirieren lassen.

Ich mache die Probe aufs Exempel und gebe einen beliebigen Suchauftrag ins System ein:

«Nenne drei konkrete Beispiele für den Einsatz von ChatGPT im Religionsunterricht für Schülerinnen und Schüler der 4. Klasse. Fasse dich kurz.»

ChatGPT spuckt folgende Antwort aus:

1. Quizfragen zu biblischen Geschichten: Schüler können ChatGPT nach Quizfragen zu bekannten biblischen Geschichten wie der Arche Noah oder der Geburt Jesu fragen und ihr Wissen testen.
2. Erklärung von religiösen Symbolen: Schüler können ChatGPT nach Bedeutungen von religiösen Symbolen wie dem Kreuz oder der Menora fragen und diese dann zeichnen oder basteln.
3. Gebete und Segenswünsche: Schüler können ChatGPT um Vorschläge für kindgerechte Gebete oder Segenswünsche bitten, die sie dann im Unterricht gemeinsam sprechen können.

Abgesehen davon, dass das System offenbar noch nichts von einer gendergerechten Sprache gehört hat, liesse sich über alle drei Vorschläge diskutieren. Und doch dienen sie Lehrpersonen unter Umständen als Impuls, selbst kreativ zu werden – ähnlich wie wir es von Google schon längst gewohnt sind. Es geht ja gar nicht anders: Wir bedienen uns beim Schreiben schon seit Jahrtausenden unterschiedlicher Hilfsmittel! Angesichts der neusten Entwicklungen bleibt allerdings zu hoffen, dass das Menschsein im Hier und Jetzt, mit offenen Fragen und Geheimnissen, Beziehungen und gegenseitigem Vertrauen, letztlich nicht von Algorithmen abgelöst werden kann. Im Blick auf den Unterricht formuliert es Inez De Florio-Hansen als Ansporn: Neben ChatGPT müssen wir weiterhin die eigene Sprache und den eigenen Schreibstil suchen und pflegen. Um einander zu verstehen, brauchen wir eine Sprache mit persönlicher Würze und Humor, eine Sprache, die nicht alles sagt, sondern auch Schweigen zwischen den Zeilen mitführt und gerade so zum Mitfühlen und Selberdenken anregt.

 

Zum Weiterlesen:

Inez De Florio-Hansen, KI-Tools für den Unterricht, Weinheim/Basel : Beltz 2024

Olaf-Axel Burow, Mit KI zu leidenschaftlicher Bildung : ein Manifest, Weinheim/Basel : Beltz, 2024

Jochen Schnack (Hrsg.), KI in der Schule, Pädagogik 3/2024

Hans-Günter Rolff, Ulrich Thünken, Digital gestütztes Lernen : Praxisbeispiele für eine zeitgemässe Schulentwicklung, 2. Aufl., Weinheim/Basel : Beltz, 2023

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